Design Prototyping auf der ESG Konferenz 2022: Die Rolle von Transdisziplinarität in Objekten
von Farina Luka Tolksdorf
Ende Oktober 2022 fand in Toronto die „Earth System Governance“ (ESG) Konferenz statt, eine interdisziplinäre Konferenz zum Thema Governing accelerated transitions: justice, creativity, and power in a transforming world, ausgerichtet von der University of Toronto und der University of Waterloo zusammen mit dem Earth System Governance Projekt. Als tdAcademy haben wir einen Workshop zur Rolle von Transdisziplinarität in Forschung und Politikberatung im Kontext von Earth System Governance durchgeführt, über dessen Prozess und Ergebnisse des Workshops wir hier berichten möchten. Konzipiert und moderiert haben den Workshop Farina Tolksdorf und Daniel Lang der Leuphana Universität Lüneburg im Rahmen der Themenlinie Kontextabhängigkeiten der tdAcademy zusammen mit Christopher Orr von der University of Waterloo.
Die viertägige Konferenz brachte Forscher*innen aus der ganzen Welt zusammen, die in über 130 Veranstaltungsformaten vor Ort, hybrid und online zu Themen rund um globale und lokale Umweltveränderungen und deren Steuerung diskutierten. Die vielfältigen Hintergründe der Forschenden aus Disziplinen wie den Sozialwissenschaften, Recht, Entwicklungsforschung sowie Internationale Beziehungen ermöglichten einen Austausch über unterschiedliche Herangehensweisen an die sozialen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit. Transdisziplinarität war häufiges Querschnittsthema und wurde als wichtiger Handlungsansatz für bevorstehende Transformationen angeführt.
Die Keynote von Klimaaktivistin Tzeporah Berman als Auftakt am Freitagnachmittag führte allen Teilnehmenden nochmals vor Augen, wie wichtig und dringlich das Ende fossiler Abhängigkeiten für unser Klima ist. Immerhin kommen 85% globaler Kohlenstoffdioxidemissionen von Öl, Kohle und Gas. Laut Tzeporah ist der wichtigste Treiber für Transformationen, wie der Energiewende, die persönliche Motivation, und weniger das theoretische Wissen darüber.
Design Prototyping – Spielerische Ansätze für komplexe Themen
Persönliche Motivation brachten die Forscher*innen auch bei unserem Workshop mit. Mit einer Methode aus der Designforschung wollten wir der Frage nachgehen, wie sich die zunehmende Rolle von Transdisziplinarität in Earth System Governance Diskursen und in der Politikberatung ausdrückt. Design Prototyping ist eine Methode, in der Teilnehmende zu einer Frage kleine Modelle aus einfachen Materialien wie bunter Pappe, Draht, Schwämmen entwickeln. Diese Modelle bieten Reflexionsflächen und helfen dabei, Gedanken und Ideen zu objektifizieren (Peukert et al. 2020). Design Prototyping wird häufig in kollaborativen Prozessen mit verschiedenen Akteuren angewandt, da diese Methode den Austausch von multiplen Perspektiven und Wissenstypen unterstützt und helfen kann, Herausforderungen der Ko-Produktion von Wissen zu überwinden.
Veränderte Zugänge ermöglichen veränderte Wahrnehmung
Beim Anblick der vielen bunten Materialien auf den Gruppentischen im Seminarraum am Sonntagmittag grinsten einige Teilnehmenden in Erinnerung an frühere Bastelzeiten im Kindergarten. Nach drei intensiven Konferenztagen mit vielen Vorträgen freuten sich viele der fast 20 Personen über das interaktive und kreative Format als letzte Session der Konferenz.
Quelle: Farina Tolksdorf, 2022.
Quelle: Farina Tolksdorf, 2022.
Zunächst sollten die Teilnehmenden als Warm-Up ein Objekt vom Tisch wählen, welches sie mit Transdisziplinarität verbinden. Eine Person wählte ein Gummiband, da transdisziplinäre Forschung unterschiedliche Formen annehmen kann und flexibel bleiben muss. Eine andere Person entschied sich für einen Schwamm aus Stahlwolle, dessen Zusammensetzung aus vielen kleinen Fäden die Komplexität der Thematik darstellen sollte. Einen Faden zu ziehen oder den Schwamm zu entwirren bedeute nicht immer, die Dinge einfacher zu machen oder das Gebilde zu verbessern.
Einblicke in die Prototypen
In der darauffolgenden individuellen Prototyp-Bauphase gingen wir der Frage nach, was genau transdisziplinäre Forschungsansätze bisher zu den Anliegen der ESG-Forschung sowie der Politikberatung beitragen. Hierbei ging es um die Erfahrungen von den Forschenden selbst und deren Wahrnehmungen im Feld.
Ein Beispiel ist der folgende Prototyp, der zeigt, wie Transdisziplinarität sich in Nachhaltigkeitstransformationsprozessen auswirkt. Dabei stellen die kleinen weißen Papierflügel sich überschneidende Erfahrungen von Menschen dar, die in diesem Kontext geteilte Verständnisse und Netzwerke entwickeln. Die Papierflügel sind Bestandteile und Ergänzungen von weiteren parallellaufenden und chaotischen Prozessen, symbolisiert durch die Bänder und Pfeifenputzer.
Quelle: Farina Tolksdorf, 2022.
Nachdem jede Person ihren Prototypen vorgestellt hatte, folgte die herausfordernde Aufgabe, innerhalb von Kleingruppen die einzelnen Prototypen zu einem gemeinsamen Modell weiterzuentwickeln. Dabei gingen Gruppen sehr unterschiedlich vor. Eine Gruppe integrierte Elemente individueller Prototypen in ein Gemeinschaftswerk, wohingegen eine andere die vorhandenen Prototypen als Rahmen nutzte, um zu zeigen, dass Perspektiven häufig nebeneinander existieren, eher verbunden, als integriert werden sollten. In kurzer Zeit fanden sich in den Modellen viele Aspekte transdisziplinärer Forschung wieder, die durch Farben sowie Form und Beschaffenheit von Materialien voneinander abgegrenzt oder in Verbindung gesetzt wurden. Im unten zu sehenden Prototyp verwendete die Gruppe Drahtspiralen für die Darstellung iterativer Prozesse und Feedback-Loops. Am Beispiel der Knoten zeigten sie die chaotische Realität mit unerwartet auftretenden Schwierigkeiten, die durch die Integration verschiedener Wissenstypen (sich überlappende kreisförmige Moderationskarten) und fürsorglichem und liebevollem Miteinander (Drahtherzen) gelöst werden können.
Quelle: Farina Tolksdorf, 2022.
Die Ergebnisse des Workshops lassen sich schwer anhand von ein paar Hauptaussagen zur Beantwortung der Frage, welchen Beitrag Transdisziplinarität zur ESG-Forschung und Politikberatung leisten kann, zusammenfassen. Vielmehr zeigt sich, dass die Interpretationsspielräume vielschichtig sind und Prototypen jeweils an unterschiedliche Ebenen anknüpfen. Teilnehmende meldeten zurück, dass sich spannende Diskussionen gerade auf persönlicher Reflexionsebene der eigenen Forschung bei der Entwicklung und Betrachtung der Modelle ergeben haben. Eine wesentliche Erfahrung war, dass viele sich inspiriert gefühlt haben, unsere Methode künftig auch in anderen Akteurskonstellationen auszuprobieren.
Über das Forschungsnetzwerk Earth System Governance
Earth System Governance ist ein globales interdisziplinäres Forschungsnetzwerk mit über 500 Fellows, welches zu Schnittstellen von Steuerung, Umweltveränderungen und Transformation forscht. Neben einem eigenen Journal, Arbeitsgruppen und Task Forces zu Themen wie Wissensproduktion, den Sustainable Development Goals oder neuen Technologien bietet die jährlich stattfindende Earth System Governance Konferenz Möglichkeiten zum Austausch und zur Vernetzung.
Mehr Infos aus der Website: https://www.earthsystemgovernance.org/
Literatur zu Design Prototyping:
Peukert, D., Lam, D. P., Horcea-Milcu, A. I., & Lang, D. J. (2020). Facilitating collaborative processes in transdisciplinary research using design prototyping. Journal of Design Research, 18(5-6), 294-326.